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Magazin für modernes Leben
König Charles lehnt an einer alten Eiche im Windsor Great Park. Foto: Chris Jackson/Getty Images
König Charles III

Der Umwelt-Avantgardist

König Charles muss zwar gerade wegen seiner Krebsdiagnose öffentlich kürzertreten, doch hinter den Kulissen ist er weiterhin aktiv. Auf seinem Landgut Sandringham kam es jüngst zu einer spannenden Kooperation mit dem Designer- und Umweltaktivisten-Duo Vin + Omi. Das Ziel: aus Pflanzenabfällen einzigartige Kleidungsstücke zu entwickeln.
Foto: Chris Jackson/Getty Images

In der Modeszene gelten sie schon länger als Nachhaltigkeitspioniere, außerhalb der Branche wurden sie aber erst 2019 so richtig bekannt. Da machten „Vin + Omi“ mit der aufsehenerregenden Neuigkeit von sich reden, dass sie einen Wolle-ähnlichen Stoff aus Brennnesselfasern und Rosshaar-Resten entwickelt und zu einem Kleid verarbeitet hätten. Der Clou an der Sache: Die Brennnesseln stammten aus dem Garten von Highgrove, dem privaten Landsitz des damaligen Prinzen von Wales und heutigen Königs von Großbritannien. Er engagiert sich seit seiner Jugend in Umweltfragen und interessiert sich dabei auch für den Impact der Mode.

Stars der Londoner Modeszene

Viel weiß man bis heute nicht über das britische Design-Duo Vin und Omi, und das ist Absicht. Aus ihrem Privatleben machen sie seit Jahren ein Geheimnis, nicht einmal ihre vollständigen Namen geben sie preis. Eine Zeitlang traten sie sogar nur mit Masken in der Öffentlichkeit auf. „Es geht nicht um uns, sondern um den Prozess unserer Arbeit“, so begründen sie dieses entschiedene Sich-Zurücknehmen. Eines weiß man wenigstens über sie: Vin und Omi haben nie an einer Mode-Akademie studiert, waren aber immer schon kreativ tätig. Vin leitete öffentliche Kunstprojekte, Omi arbeitete als freiberuflicher Designer für Marken wie Louis Vuitton oder unter John Galliano für Dior. Auch als Fotograf war er eine Weile unterwegs.

Innovation Öko-Latex

Im Jahr 2000 lernten Vin und Omi sich dann auf der After-Show-Party eines Konzerts der Spice Girls kennen und waren sofort auf einer Wellenlänge. Bald hatten sie viele innovative Ideen zu Stoffen und Design, eine davon war die einer neuen Latexversion: atmungsaktiv, beweglich, doch vor allem nachhaltig. Dieses Öko-Latexmaterial produzieren sie mittlerweile auf ihrer eigenen Bio-Plantage. Denn das kreative Paar hat sich darauf spezialisiert, verschiedenste Naturabfälle und Wildkräuter in Textilien zu verwandeln.

Ein Bild, das einen Mann in einem schwarzen Frauenkleid und Publikum enthält.
Die Designer Vin und Omi – Letzterer vorn im schwarzen Kleid – nach ihrer Fashion-Show „Omnia“ im September 2023 im Londoner Künstlerviertel Shoreditch.Foto: PA Images/Ian West/Alamy

Während der nun schon zwei Jahrzehnte währenden Partnerschaft des Designer-Duos war Nachhaltigkeit immer ihr Leitprinzip beim Entwerfen von Kleidungsstücken.

„Wir sind nicht nur ein Modelabel, wir sind eine Ideologie.“

Vin und Omi

Die beiden haben in dieser Zeit echte Pionierarbeit geleistet bei der Verwendung neuer Materialien in der Mode. Daher bezeichnen sie ihre Marke nicht nur als Label, sondern auch als Ideologie, niedergeschrieben in einem eigenen Manifest (siehe unten). Ihre Fokussierung auf nachhaltige Ansätze in den Bereichen Wirtschaft, Design und Textilien durch ökologische Innovationen und das Miteinbeziehen möglicher sozialer Auswirkungen ihrer Bekleidungsproduktion macht Vin und Omi heute zu einem der kreativsten Labels für Öko-Mode. Ihr Design zeichne sich durch innovative Schnitte, zeitgenössische Ansätze und eine starke Anlehnung an Musik- und Popkultur aus, so heißt es in der Fachpresse über ihre Entwürfe.

Auf einer Linie mit dem King 

Immer wieder betonen beide Kreative, wenn sie über ihren royalen Kooperationspartner sprechen, dass ihr Ansatz für die Zusammenarbeit mit dem Monarchen auf gemeinsamen Werten und einem lebenslangen Engagement für den Schutz der Umwelt beruhe. Charles sei begeistert von ihrem Erfindungsreichtum und gebe ihnen deswegen immer wieder Zugang zu seinen Ländereien. Sie haben neben dem Brennnessel-Stoff, der eine Konsistenz ähnlich der Alpakawolle hat, auch schon aus den Häuten von Kastanien eine Art Leder gewonnen. „Eigentlich machen wir jede Woche etwas anderes“, sagen sie gern in Interviews, wenn sie nach aktuellen Projekten gefragt werden.

Ihre jüngste Kreation ist nun wieder so spektakulär wie das Brennnesselkleid, das sie berühmt gemacht hat, und wieder entstand sie im Rahmen ihrer mehrjährigen Kooperation mit Charles. Diesmal hatten Vin und Omi sich auf dem königlichen Anwesen Sandringham in der Grafschaft Norfolk unter Führung des dortigen Chefgärtners auf Materialsuche begeben, um auf dem 20.000 Hektar großen Gelände Abfallstoffe zu identifizieren, die zur Verarbeitung geeignet sein könnten.

Suchen, was wegmuss

Der Ideenfindungs-Prozess funktioniert in der Regel so, dass die Designer herauszufinden versuchen, was sie sinnvollerweise verwenden können. Sie schauen sich nicht einfach um und suchen sich eine Pflanze als Basismaterial aus. Sondern sie fragen, was sowieso weggeworfen oder zurückgeschnitten werden soll, damit der Park gepflegt wirkt und Besucher das Anwesen besichtigen können. Im Prinzip geht es immer um Pflanzenabfälle.

Albtraum von einer Pflanze

Auf einem der Spaziergänge durch den Park zeigte der Gärtner einmal auf eine krautartige Pflanze mit spinnwebartig-flockigen Blüten und gut 40 Zentimeter hohen, wollig behaarten Stielen, die sich überreichlich am Ufer eines Sees auszubreiten schien. „Schauen Sie, das ist ein Albtraum von einer Pflanze, davon würden wir gern reichlich hergeben, diese Pestwurz verbreitet sich schneller, als man gucken kann. Ständig müssen wir sie zurückschneiden. Können Sie damit etwas anfangen?“, erzählte Vin der Britischen Zeitung „The Telegraph“ aus Anlass der Präsentation des neuen Materials.

Das ließen sich Vin und Omi nicht zweimal sagen. Prompt entwickelten und produzierten sie aus den Stielen der Pestwurz ein weltweit einzigartiges Gewebe, das sie nun im Rahmen ihrer Nachhaltigkeits-Initiative auf ihrer jüngsten Modenschau mit dem Titel „Omnia“ im Londoner Szene-Stadtteil Shoreditch zusammen mit anderen Outfits präsentierten, die ebenfalls aus in Sandringham angefallenen Abfallmaterialien oder Unkraut hergestellt wurden.

Ein Bild, das ein Model mit langem Kleid, Schuhen und Publikum zeigt.
Ein Model führt auf der Londoner Vin-und-Omi-Show im September 2023 ein Kleid vor, das aus dem Pestwurz aus König Charles‘ Garten hergestellt wurde.Foto: PA Images/Ian West/Alamy

Aber der größte Hingucker war natürlich das elegante, scheinbar simpel geschnittene Kleid in gedämpftem Weiß, dessen Material auf den ersten Blick wie Rohseide wirkt, tatsächlich aber aus dem „Albtraum-Unkraut“ Pestwurz gefertigt wurde. Möglicherweise wird man demnächst Kate Moss, Beyoncé oder Michelle Obama darin sehen, alle bekennende Vin-und-Omi-Fans.

Wermutstropfen

Wer allerdings dieses oder andere Designs der beiden selbst erwerben möchte, wird in Luxusboutiquen oder Onlineshops vergeblich danach suchen. Leider: Die Mode von Vin und Omi ist nicht für ein kommerzielles Publikum bestimmt. Zumindest bisher. Die beiden entwerfen vor allem, um andere weiterzubilden. Ihre Kollektionen werden beispielsweise immer wieder im Londoner Victoria & Albert Museum ausgestellt. Außerdem geben Vin und Omi ihr Know-how regelmäßig an Designstudenten weiter, damit diese lernen können, wie man umweltfreundlichere Prozesse in der Modeproduktion entwickelt.

Derzeit ist auch eine umfassende Werkschau in Planung, die die jahrelange fruchtbare Zusammenarbeit mit dem königlichen Kooperationspartner Charles abbilden soll. Aus diesem Anlass haben Vin und Omi ihre archivierten Arbeiten der letzten 23 Jahre durchgesehen, um sich inspirieren zu lassen. Und sie haben Techniken noch einmal nachvollzogen, die sie zuvor entwickelt hatten, um diese mit neuen Methoden der Bekleidungsherstellung zu verbinden.
Man darf also gespannt sein auf die Ausstellung – sie soll dann in Sandringham gezeigt werden, der Heimat der Pestwurz.

Immer schon ein Klimaaktivist: King Charles III in Safari-Uniform zwischen Amazonas-Pflanzen.
Immer schon ein Umweltaktivist: Charles bei einem Abstecher in den Dschungel während seiner Venezuela-Reise im Februar 1989.Foto: Rob Crandall/Alamy

Über König Charles III

Charles III gilt als einer der führenden Umweltschützer unter den Mitgliedern der königlichen Familie. Er engagiert sich seit seiner Jugend in verschiedenen sozialen und Umweltprojekten, setzt sich für nachhaltige Landwirtschaft und Architektur, den Schutz bedrohter Tierarten und den Kampf gegen den Klimawandel ein. 1976 gründete er den Prince's Trust, eine gemeinnützige Organisation mit dem Ziel, jungen Menschen aus schwierigen Verhältnissen zu helfen. Sein Label Duchy Originals, gegründet 1990, fördert Produkte aus ökologischem Anbau.

2007 rief der Prinz von Wales das Prince's Rainforests Project (PRP) ins Leben, nachdem führende Experten für den Klimawandel, darunter der Zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaänderungen (Intergovernmental Panel on Climate Change), auf die dringende Notwendigkeit von Maßnahmen gegen die Abholzung der Tropenwälder hingewiesen hatten. In den 1970er-Jahren noch als lebensfremder Tagträumer verhöhnt, ist Charles heute als königlicher Umweltaktivist gern gesehener Gast auf jeder Klimakonferenz.

Das Vin + Omi Manifest

Wir arbeiten nur mit Prominenten und hochrangigen Persönlichkeiten und Organisationen zusammen, die unsere Grundwerte unterstützen. 

Wir arbeiten nur mit Unternehmen zusammen, die versuchen, sich zum Wohle des Planeten zu verändern. 

Wir suchen immer zuerst nach einer einzigartigen Lösung für ein Problem. 

Wir werden immer versuchen, ein soziales oder ökologisches Projekt um unsere Arbeit herum zu entwickeln. 

Wir glauben, dass es nicht ausreicht, ein neues Textil oder Produkt, ein Kunstwerk oder ein Design zu produzieren: Wir können mehr tun, indem wir über den Ursprung und die Umgebung jedes Projekts nachdenken. 

Bei unserer Arbeit im Bereich der Mode haben wir kein Interesse daran, die planetenschädigenden Geschäftsmodelle zu verfolgen, die derzeit in der Modebranche üblich sind. 

Empathie ist der Kern unseres Geschäftsmodells und unserer Praxis 

Jedes Einzelhandelsvorhaben, das wir in Angriff nehmen, muss sorgfältig überlegt und auf die RICHTIGE Weise durchgeführt werden. Einzelhandelsgeschäfte werden nur dann getätigt, wenn sie einen direkten Nutzen für eine Wohltätigkeitsorganisation oder die Umwelt haben. Wir handeln nicht aus Profitgründen.

Wir werden unseren CO2-Fußabdruck stets durch Investitionen in unsere eigenen oder andere Klimaschutzprogramme ausgleichen. Wir identifizieren auch bestimmte Programme mit sozialer Wirkung, die es wert sind, als Unternehmensausgleich für Emissionsgutschriften zu dienen. 

Wir werden uns bemühen, neue Wege zu finden, um neue nachhaltige Produkte, Praktiken und Projekte in unser Arbeitsportfolio aufzunehmen. 

Wir werden keine Mode im Übermaß aus Profit- oder Profitgier produzieren. Unsere Geschäftsmodelle sind zirkulär.

Wir setzen uns stark für die Umwelt ein und werden sie durch unsere Arbeit schützen und unterstützen. 

Wir identifizieren ein soziales oder politisches Problem und arbeiten an dessen Lösung mit. 

Wir werden unsere Arbeit in jeder Phase des Prozesses mit Bildungsprogrammen verbinden. 

Wir glauben an die Investition in die Zukunft unseres Planeten durch unsere Stiftung.

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