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Magazin für modernes Leben
Ein Bild, das türkisblaues Wasser, sandigen Meeresgrund, Wasseroberfläche von unten, fünf mit Algen bewachsene Skulpturen aus Beton und Meeresorganismen enthält. Foto: Guillaume Ruoppolo
Musée Subaquatique de Marseille

In den Sand gesetzt

In Schwimmentfernung zum Stadtstrand von Marseille haben elf Bildhauer ihre Statuen im Mittelmeer versenkt. Wer sie anschauen will, muss abtauchen. Dafür ist der „Eintritt“ frei.
Foto: Guillaume Ruoppolo

Unweit des belebten Zentrums von Marseille befindet sich der berühmte Stadtstrand Plage des Catalans, der im Sommer Sonnenanbeterinnen und Sonnenanbeter aus der Stadt und aller Welt anlockt. Rund 100 Meter vom Ufer entfernt, in fünf Meter Wassertiefe und mit einer großen weißen Boje markiert, stehen dort elf Kunstwerke aus Beton. Vom Boot oder mit Taucherbrille und Schnorchel kann man sie erkennen. Um sie genauer zu studieren, muss – und darf – man zu ihnen hinabtauchen.

Ein Bild, das einen Apnoetaucher, türkisblaues Wasser, sandigen Meeresgrund, Wasseroberfläche von unten, mit Algen bewachsenen Bär aus Beton und Meeresorganismen enthält.
Der dreifache Weltmeister im Freediving, Morgan Bourc'his, besucht den Eisbären von Michel Audiard. Der Bär ist eine Hommage des französischen Bildhauers an seinen Landsmann und Erschaffer des berühmten Polarbären „Ours blanc“, François Pompon (1855–1933). Foto: Guillaume Ruoppolo

Kunst in Symbiose mit der Unterwasserwelt

Die Idee von Unterwasser-Skulpturenparks geht auf den Briten Jason deCaires Taylor zurück, der mit seiner Kunst eine symbiotische Verbindung mit der Natur herstellen möchte. Der preisgekrönte Bildhauer, Umweltschützer und Unterwasserfotograf hat in den letzten 18 Jahren rund ein Dutzend Unterwassermuseen und Skulpturenparks unter den Wellen geschaffen und mehr als 1.200 „lebende“ Kunstwerke in den Ozeanen und Meeren der Welt versenken lassen. Zu den Themen, die in diesen künstlerischen Installationen behandelt werden, gehören stets der Klimawandel mit seinen Folgen und die regenerativen Eigenschaften der Natur.

Ein Bild, das einen Taucher mit Licht und Kamera, türkisblaues Wasser, sandigen Meeresgrund, Wasseroberfläche von unten, eine Krake aus Beton enthält.
Als Hybrid-Tier, halb Krake, halb menschliches Gehirn, ist „Octo-Cerebrum“ von Floriane Lisowski eine der Botschafterinnen der Ozeane, die sich die Künstlerin vorgestellt hat. Die Künstlerin: „Im Jahr 2020 hat mich der oscarprämierte Dokumentarfilm „Mein Lehrer, der Krake“ fasziniert und tief berührt. Ich hatte Lust, dieses außergewöhnliche Tier, das einst als furchteinflößend galt und heute für seine Intelligenz und seine Fähigkeit, in völliger Symbiose mit der Natur zu leben, anerkannt wird, durch Skulpturen zu hybridisieren."Foto: Guillaume Ruoppolo

Skulpturen als Lebensräume

Die Skulpturen bieten aufgrund ihrer Beschaffenheit neue Lebensräume für die Meeresbewohner und veranschaulichen gleichzeitig die zerbrechliche Beziehung des Menschen zur marinen Welt. Angefertigt aus einem speziellen Beton, der die Besiedelung der Skulpturen ermöglicht, unterliegen die Kunstwerke einem permanenten Wandel durch die Meeresumgebung. Jede Figur stellt für sich ein kleines künstliches Riff dar, das einer Vielzahl von Meereslebewesen Schutz und Nahrung bietet.

Antony Lacanaud, der Gründer des Museums in Marseille, entdeckte die von Jason deCaires Taylor entwickelten Projekte und initiierte mit Künstlern aus Frankreich das Konzept für seine Stadt. So entstand ab 2020 das Unterwassermuseum in Marseille. Zwischen Poseidon, dem Gott des Meeres, und seinen Wassernymphen hat sich mittlerweile eine neue Unterwasserwelt entwickelt. Auf den Oberflächen der versenkten Objekte finden zahlreiche Algen Halt, durch sie werden kleinere Fischarten angelockt, die in den Hohlräumen der Skulpturen Unterschlupf finden, aber auch größeren Fischen Nahrung bieten – der Kreislauf schließt sich und so kann in dieser wieder erstarkten Meeresfauna neues Leben entstehen.

Ein Bild, das einen Taucher mit rotem Tauchanzug und Ausrüstung, türkisblaues Wasser, sandigen und felsigen Meeresgrund, Wasseroberfläche von unten, eine Poseidon-Skulptur aus Beton auf einem Sockel und Meeresorganismen enthält.
Wie eine Allegorie der Macht und Selbstbeherrschung symbolisiert Christophe Charbonnels Poseidon Stabilität im Wandel – der unbewegliche Wächter einer Welt in ständiger Bewegung, wie die kommende Erinnerung an unsere westliche Kultur.Foto: Guillaume Ruoppolo

Poseidon in bester Gesellschaft

Poseidon, der griechische Gott des Meeres von Christophe Charbonnel, wacht mit seinem langen Haupthaar und dem Algenbart über die kleine Gruppe: die Nereiden, zierliche Meeresnymphen der Künstlerin Evelyne Galinski. Über den Eisbären mit zur Meeresoberfläche gerichtetem Blick von Michel Audiard, der wie ein Mahnmal darauf hinweist, dass er eigentlich auf eine Eisscholle in der Arktis gehört.

Ein Bild, das türkisblaues Wasser, sandigen Meeresboden, Wasseroberfläche von unten, eine Fischskulptur aus Beton auf einem Sockel und Meeresorganismen enthält.
„Fish of Marseille“ taufte Mathias Souverbie sein Werk. Der Künstler sagt: „Die Linie des Fisches ist perfekt, immer rein und fließend, und er ist ein perfektes Objekt in seiner Umgebung, wie ein Vogel, der immer in der Schwerelosigkeit ist."Foto: Guillaume Ruoppolo

Unter den Augen Poseidons findet man einen überdimensionalen Fisch von Mathias Souverbie, ein riesiges Seeigelgehäuse von Daniel Zanca, der damit dem im Mittelmeer vom Aussterben bedrohten Stacheltier huldigt, sowie eine Riesenkrake von Floriane Lisowski. Vier weitere Kunstwerke steuerten Benoit de Souza, Davide Galbiati, der Künstler Régis Leroy alis „Herrel“ und Thierry Trives bei.

Ein Bild, das einen Schnorchler unter Wasser, türkisblaues Wasser, sandigen Meeresgrund, Wasseroberfläche von unten, einen Seeigel aus Beton und Meeresorganismen enthält.
Ein Schnorchler erkundet die Skulptur „Oursin Test“ (Seeigeltest). Der Künstler Daniel Zanca über seinen Beitrag zum Museum: „Sie wird von der philosophischen Natur des Symbols getragen. Dieser riesige Seeigel, der wie unsere Existenz dem Ungewissen geweiht ist, scheint uns zu sagen, dass wir das, was wir zu besitzen glauben, nie wirklich in Händen halten. Auf seine hohle Schale reduziert, zerfällt er wie die Liebe, die Freundschaft, die Jugend, der Körper, kurzum das Leben.“Foto: Guillaume Ruoppolo
Ein Bild, das türkisblaues Wasser, sandigen Meeresgrund, Wasseroberfläche von unten, Meeresorganismen und auf einem Sockel drei Figuren aus Beton mit Affengesichtern enthält.
Über seine Inspiration zu „Les Singes de Mer“ (Die Meeraffen) sagt der in Benin geborene Bildhauer Benoit de Souza: „Ich habe mich schon immer leidenschaftlich für Mythologie und Fantasy interessiert und mir Figuren vorgestellt, die wie der Ozean tief und unbegreiflich sind. Unter all dieser Symbolik im Denken und in der Kunst der Antike und des Mittelalters – von heidnischen, animistischen Mythen bis hin zu christlichen Symbolen – habe ich mich für diejenigen interessiert, die mich auf meine doppelte Kultur zurückführen.“Foto: Guillaume Ruoppolo

Inspiration für den Umweltschutz

Als letzte Skulptur wurde der „Reisende“ von Bruno Catalano zu Wasser gelassen. Die „Voyageurs“-Serie des Künstlers aus Marseille erinnert an Männer und Frauen, die zu neuen Horizonten aufbrechen, ähnlich wie das Musée Subaquatique in neue Gefilde der Museumskultur in Verbindung mit der Wissenschaft und dem Umweltschutz vorstoßen will.

Der „Eintritt“ ist kostenfrei und auf eigene Verantwortung. Die Skulpturen können schwimmend, schnorchelnd oder mit Tauchausrüstung erkundet werden. Auf Anfrage werden geführte Gruppen-Besichtigungen organisiert.

Ein Bild, das türkisblaues Wasser, sandigen Meeresgrund, Wasseroberfläche von unten, fünf mit Algen bewachsene Skulpturen aus Beton und Meeresorganismen enthält.
Evelyne Galinski, geboren in Marseille, sagt über ihre Skulpturengruppe „Les Néréides“: „Nachdem ich Jason deCaires Taylors Werk so sehr bewundert hatte, war es ein großes Glück, dass Antony Lacanaud mir vorschlug, an seinem ökologischen Projekt teilzunehmen, und dass es in meiner Geburtsstadt und an einem Strand stattfand, der mich als Kind zum Träumen gebracht hatte. Ich freue mich darauf, zu sehen, wie die Natur unsere Arbeit verändert.“Foto: Guillaume Ruoppolo

Weitere Infos:

Musée Subaquatique de Marseille: musee-subaquatique.com

Jason deCaires Taylor: underwatersculpture.com

Mediterranean Institute of Oceanography: mio.osupytheas.fr

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