
Zwischen Eskapismus und Ernst
Vor rund einer Woche ging in Paris der Reigen der Modenschauen zu Ende. In der Branche gilt die Regel, dass Trendanalysen vor der letzten Schau an der Seine keinen Sinn machen. Auch wenn die anderen Fashionweek-Standorte, also New York, London und Mailand durchaus wichtige Impulse liefern, so bleibt Paris das Zünglein an der Waage, um klare Trendaussagen für den Herbst/Winter 2025/2026 machen zu können.

Zebra oder Leo – wen interessiert das gerade?
Aber müssen wir uns wirklich noch immer über Farben, Muster und Rocklängen unterhalten? Ob Zebra-Drucke nun angesagter sind als Leoparden-Prints? Oder dass die Transparenz und Fransen zum x-ten Mal in die Mode zurückkehren? Interessiert das wirklich noch jemanden?
Auch wissen wir alle inzwischen, dass Trendfarben nicht plötzlich aus dem Nichts aufpoppen, sondern lange vorab geplant werden. Sie sind das Ergebnis aufwendiger Trendforschungs-Analysen, die in die textile Kette eingespeist werden und dann über Garne und Stoffe den Weg auf den Laufsteg finden. All das ist vorhersehbar. Sollten wir uns also nicht eher fragen, ob die Mode noch immer den Zeitgeist reflektiert? Oder anders ausgedrückt: Welche Bekleidung passt in eine Zeit der Ungewissheit, der Kriege, Aufrüstung, Staatsverschuldung, kollabierender Wirtschaftssysteme, drohender Autokratien und einer immer deutlicher werdenden Klimakrise?
Kollektionen für Modenschauen haben heute keinen Vorlauf von sechs Monaten mehr, so wie früher. Sie werden in wenigen Wochen erdacht und mit heißer Nadel angefertigt. Die Designer waren also bereits über die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten und die Rolle Elon Musks innerhalb seiner Regierung informiert. Als sie ihre Kollektionen entwarfen, tobten Ukraine- und Israel-Gaza-Krieg, während es in Los Angeles lichterloh brannte. Wie haben diese Umstände die Kreativen beeinflusst? Welche Mode haben sie für uns und diese Krisenzeit erdacht? Die Antwort ist: Es gibt mehrere Strömungen, wie die Designer diese, also unsere aktuelle Welt in ihren Entwürfen verarbeitet haben.

Flucht in eine bessere Zeit
Insbesondere auf der London Fashion Week für den Herbst/Winter 2025/2026 kam man sich teilweise vor wie beim Kostümball eines Historienfilms. Bora Aksu und Erdem zeigten Modelle der spät-viktorianischen Kleiderepoche und des deutschen Biedermeiers. Züchtige Mode, hochgeschlossen, mit Häubchen auf dem Kopf und Spitzenkrägen am Hals. Bei Richard Quinn katapultierte der Catwalk die Zuschauer mitten in eine Salon-Präsentation für luxuriöse Abendmode aus den 1950er-Jahren. Inklusive Schneeflocken, die von der Decke rieselten.
Für Christian Dior spann Maria Grazia Chiuri ihre schon zur Haute Couture gezeigten Krinolinen-Ideen weiter. Die jetzt präsentierten Ready-to-wear-Looks haben üppige Rüschen, angelehnt an die Herrenmode des 19. Jahrhunderts, Korsetts und Schößchen.

Fifties, Sixties, Hauptsache früher
Bei Miu Miu tragen die Frauen im Herbst/Winter 2025/2026 toupierte Frisuren wie aus den Fünfzigern und die dazu passende Mode. Auch Gucci blickte zurück, allerdings in die Sixties. Die Reihe könnte man beliebig fortführen.

Herbst/Winter 2025/2026 – modisch-historische Brücke?
Sehnen sich die Designer angesichts unserer krisengeschüttelten Aktualität also nach der alten und eventuell besseren Zeit? War den Kreativen bewusst, dass schon um 1850 ein Krimkrieg wütete, bei dem England und Frankreich sich gegen Russland verbündeten? Und dass in den 1950er- und 60er-Jahren der Grundstein für den Kalten Krieg gelegt wurde? Wollten die Designer hier eine modisch-historische Brücke schlagen?
Die Mode soll liefern, was die Zeit nicht schafft
Die erste Vermutung, also der fast schon sentimentale Wunsch nach einer heilen Welt, liegt näher, vor allem weil romantische Stilelemente in dieser Saison omnipräsent sind: Rüschen, Spitze, Schleifchen und Perlen aller Größen, Lingerie-Elemente, Organza-Überwürfe, Halskrausen und überdimensionale Schluppen finden sich nicht nur bei den üblichen Verdächtigen wie Chloé, Alberta Ferretti oder Zimmermann, sondern auch bei Coperni, McQueen, Fendi, Stella McCartney, Valentino und vielen mehr. Wenn die eigene Zeit schon keine Romantik liefert, dann muss hier eben die Mode aushelfen.



Die Krisen wegkuscheln
In eine ähnliche Richtung geht der zweite große Modetrend dieser abgelaufenen Schauen-Saison: Die Designer bieten uns im kommenden Winter die Möglichkeit, es uns in den Kleidungsstücken gemütlich zu machen. Wir können uns „von der bösen Welt da draußen“ abschirmen und uns zum Beispiel in einem dicken weichen Mantel, einer übergroßen Kapuze oder in einem weiten Strickkleid einkuscheln. Selten war so viel Gestricktes auf den Laufstehen unterwegs: Chanel deklinierte sogar seine berühmten Jacken und Tweedkleider in dicken Maschen.

Kleidgewordene Geborgenheit
Wollige Decken-Überwürfe und Stolas wie bei Acne, Issey Miyake, Sacai und Anteprima wiegen uns in Sicherheit, so wie die Kuscheldecke den kleinen Linus von den Peanuts. Dicke Oversize-Pullis und Cardigans wie von Antonio Marras, Mame Kurogouchi und – natürlich nicht zu vergessen – Missoni sind Kleider gewordene Inkarnationen von Gemütlichkeit und Geborgenheit. Bei Kenzo wird das Kuschelthema auf die Spitze getrieben, mit einer Jacke komplett aus hellrosafarbenen und hellblauen Stoffhasen (siehe letztes Bild).

Dass Daunen noch lange nicht vom Laufsteg verschwunden sind und noch viel dicker als sonst daherkommen, ist ebenfalls der Suche nach Wohlgefühl geschuldet. Materialien wie Echtpelz und Fake Fur, Flauschstoffe oder Layerings in Wolle und Kaschmir sind weitere Gewinner dieser Entwicklung. Es kann durchaus sein, dass sie uns bei einer gleichbleibenden geopolitischen Lage auch noch etwas länger begleiten werden.

Modische Kampfansage: Back to Business
Aber nicht alle Designer ducken sich weg. Es gibt genügend, die sich den harten Zeiten stellen wollen mit einem Kleidungsstil, der ausdrückt: Nicht mit uns! Diese Kreativen sehen eine Rückkehr zur machtvollen Klassik, eine Rückkehr der Powerfrau und zu echten Statements. Die Businessmode ist zurück – in Grau, Schwarz und Weiß. Und weil wir davon schon genug haben, oft auch in auffälligem Orange, Rot und einem dunklen Violett. Stella McCartney, Ferrari, Max Mara, Tom Ford, Michael Kors, Givenchy, Balmain, aber vor allem Balenciaga, Calvin Klein und Saint Laurent zeigen, dass Frauen im Kampf gegen die Krisen sehr wohl mitreden wollen.


Röcke kommen wieder, aber vor allem breite Schultern, die Widrigkeiten nonchalant wegrempeln können. Die Silhouette dieser Powerfrauen gleicht der in den Achtzigern, oben breit, mit schmaler Taille, die mit Gürteln betont wird, und langen Beinen, verlängert dank High Heels und hohen Stiefeln. Diese Weiblichkeit strahlt Macht aus. Aber sie hat neben ihrer professionellen Attitüde auch ein sexy Pendant, das auf Verführung setzt und mit Transparenz um Blicke heischt.

Zu diesem Trend passen neben klassischen Anzügen enge Bleistiftröcke, Bomberjacken, Outfits in Leder, transparente Spitze und Statement-Elemente wie hohe Kragen und auffälliger Schmuck.
Rückbesinnung auf Tradition und eigene Markenwerte
Kommen wir zum letzten großen Trendblock dieser Schauenwochen: Der Rückbesinnung auf die eigenen Werte, Traditionen wie auch das Bekräftigen einer Marken-DNA. Je mehr aktuell die Globalisierung kritisiert wird, desto mehr erstarken nationale Strömungen. Wie sieht die traditionelle einheimische Mode aus? Welche Techniken und Handarbeiten sind kulturell bedeutend für ein Land, eine Region? Umgesetzt wird das in dieser kommenden Wintersaison in einer Masse von Tartans und Karos. Norwegerpullis kommen zurück, aber in neuer, moderner Form. Italienische Marken schwelgen in hochwertigem Strick und edlen Wollgeweben, für die sie berühmt sind. Die Franzosen demonstrieren ihre Perfektion in der Konfektion und des „Flou“, der handwerklichen Verarbeitung von zarten und fast schon durchsichtigen Stoffen. Marken mit einer langen Geschichte, wie Saint Laurent, Givenchy oder Chanel haben das Glück, einfach ein Best of ihrer reichen Historie zeigen zu können.


Dieser Trendbereich mag im Augenblick noch untergeordnet zu bewerten sein, aber könnte in den kommenden Saisons massiv ausgebaut werden. Je mehr eine alte Weltordnung zerbricht, desto mehr werden der Blick auf den eigenen Bauchnabel zunehmen und in der Folge auch lokale oder nationale Stärken deutlicher herausgearbeitet.
Die Wintersaison 2025/26 könnte ein Auftakt werden zu einer spannenden neuen Mode-Epoche, in der alte Handwerkstechniken und traditionelle Kleidungsstücke ein Revival erleben. Eine Zeit, in der ein neues Selbstbewusstsein in der Kreation entsteht, das nicht mehr darauf achten muss, weltweit zu funktionieren, sondern seine eigene Handschrift ausleben darf. Mode ist – und das hat diese Fashion-Week-Saison klar gezeigt – ein Spiegel unserer aktuellen Welt. Und das soll bitte auch künftig so bleiben.
