Sonntag, 20. April 2025
Sonntag, 20.04.25
Logo Substantial Times
Magazin für modernes Leben
Fotocollage von drei Laufstegfotos, links ein Model mit einem rosafarbenen Plüschblouson und einer Kapuze mit langen Hasenohren, in der Mitte ein androgynes Model, das ein Schild mit der Aufschrift „The End is near“ hochhält, und rechts ein Model mit hellblauer Hose und Weste aus babyblauen und rosafarbenen Plüschhasen. Fotos: Catwalkpictures
HERBST/WINTER 2025/2026: Welche Mode für unsere Zeit?

Zwischen Eskapismus und Ernst

Die etwas andere Trendanalyse zu den abgelaufenen Fashion Weeks in New York, London, Mailand und Paris. Barbara Markert über die Kleiderordnung zur neuen Weltordnung.
Fotos: Catwalkpictures

Vor rund einer Woche ging in Paris der Reigen der Modenschauen zu Ende. In der Branche gilt die Regel, dass Trendanalysen vor der letzten Schau an der Seine keinen Sinn machen. Auch wenn die anderen Fashionweek-Standorte, also New York, London und Mailand durchaus wichtige Impulse liefern, so bleibt Paris das Zünglein an der Waage, um klare Trendaussagen für den Herbst/Winter 2025/2026 machen zu können.

Fotocollage von drei Laufstegfotos, links weibliches Model mit Fellmütze im Leopardenmuster, Mitte Model mit Mantel mit Saum und Kragen in Leopardenfelloptik, rechts Model in Minirock, Jacke und Kappe, alles in Leopardenfelloptik.
Leo läuft immer, aber ist das im Moment ein Thema? Looks für Herbst/Winter 2025/2026 auf den Laufstegen von Vivetta, Roberto Cavalli und Aknvas (von links nach rechts).Fotos: Catwalkpictures

Zebra oder Leo – wen interessiert das gerade?

Aber müssen wir uns wirklich noch immer über Farben, Muster und Rocklängen unterhalten? Ob Zebra-Drucke nun angesagter sind als Leoparden-Prints? Oder dass die Transparenz und Fransen zum x-ten Mal in die Mode zurückkehren? Interessiert das wirklich noch jemanden?

Auch wissen wir alle inzwischen, dass Trendfarben nicht plötzlich aus dem Nichts aufpoppen, sondern lange vorab geplant werden. Sie sind das Ergebnis aufwendiger Trendforschungs-Analysen, die in die textile Kette eingespeist werden und dann über Garne und Stoffe den Weg auf den Laufsteg finden. All das ist vorhersehbar. Sollten wir uns also nicht eher fragen, ob die Mode noch immer den Zeitgeist reflektiert? Oder anders ausgedrückt: Welche Bekleidung passt in eine Zeit der Ungewissheit, der Kriege, Aufrüstung, Staatsverschuldung, kollabierender Wirtschaftssysteme, drohender Autokratien und einer immer deutlicher werdenden Klimakrise?

Kollektionen für Modenschauen haben heute keinen Vorlauf von sechs Monaten mehr, so wie früher. Sie werden in wenigen Wochen erdacht und mit heißer Nadel angefertigt. Die Designer waren also bereits über die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten und die Rolle Elon Musks innerhalb seiner Regierung informiert. Als sie ihre Kollektionen entwarfen, tobten Ukraine- und Israel-Gaza-Krieg, während es in Los Angeles lichterloh brannte. Wie haben diese Umstände die Kreativen beeinflusst? Welche Mode haben sie für uns und diese Krisenzeit erdacht? Die Antwort ist: Es gibt mehrere Strömungen, wie die Designer diese, also unsere aktuelle Welt in ihren Entwürfen verarbeitet haben.

Fotocollage von vier Laufstegfotos mit weiblichen Models, links in einem blauen Rock und Cape mit weißer Spitze und Hütchen, daneben in einem beigefarbenen Minikleid mit angedeutetem Krinolinenrock, daneben in einem schwarzen Abendkleid mit türkisfarbener Schulerschärpe und weißer Schleife, ganz rechts ein viktorianisch anmutendes Kleid in Petrolfarbe mit schwarzem Kragen und schwarzen Details.
Flucht in „die gute alte Zeit“ oder zumindest eine Anlehnung daran: Viktorianisch züchtig bei Bora Aksu, in die Moderne übersetzte Krinoline bei Dior, elegant im Schneegestöber bei Richard Quinn, eine Idee von Biedermeier bei Erdem (von links nach rechts).Fotos: Catwalkpictures

Flucht in eine bessere Zeit

Insbesondere auf der London Fashion Week für den Herbst/Winter 2025/2026 kam man sich teilweise vor wie beim Kostümball eines Historienfilms. Bora Aksu und Erdem zeigten Modelle der spät-viktorianischen Kleiderepoche und des deutschen Biedermeiers. Züchtige Mode, hochgeschlossen, mit Häubchen auf dem Kopf und Spitzenkrägen am Hals. Bei Richard Quinn katapultierte der Catwalk die Zuschauer mitten in eine Salon-Präsentation für luxuriöse Abendmode aus den 1950er-Jahren. Inklusive Schneeflocken, die von der Decke rieselten.

Für Christian Dior spann Maria Grazia Chiuri ihre schon zur Haute Couture gezeigten Krinolinen-Ideen weiter. Die jetzt präsentierten Ready-to-wear-Looks haben üppige Rüschen, angelehnt an die Herrenmode des 19. Jahrhunderts, Korsetts und Schößchen.

Fotocollage von vier Laufstegfotos, links weibliches Model mit violettem Wollkostüm, daneben Model mit toupierten Haaren in Oversize-Hemd und schmalem Rock, daneben Model mit toupierten Haaren in Küchenkaro-Rock mit beigefarbenem Blouson, daneben schmales Tweedkostüm.
Fifties und Sixties revisited bei Gucci (links und rechts), Prada und Miu Miu (Mitte rechts).Fotos: Catwalkpictures

Fifties, Sixties, Hauptsache früher

Bei Miu Miu tragen die Frauen im Herbst/Winter 2025/2026 toupierte Frisuren wie aus den Fünfzigern und die dazu passende Mode. Auch Gucci blickte zurück, allerdings in die Sixties. Die Reihe könnte man beliebig fortführen.

Fotocollage von vier Laufstegfotos, vier Models in teils sehr durchsichtigen Kleidern aus Spitzen und Organzastoffen.
Spitze, Rüschen, Organza: Auf den Catwalks von Fendi, McQueen, Valentino und Alberta Ferretti (von links nach rechts) lassen schmeichelnde Stoffe und pudrige Farben wenig Raum für düstere Gedanken.Fotos: Catwalkpictures

Herbst/Winter 2025/2026 – modisch-historische Brücke?

Sehnen sich die Designer angesichts unserer krisengeschüttelten Aktualität also nach der alten und eventuell besseren Zeit? War den Kreativen bewusst, dass schon um 1850 ein Krimkrieg wütete, bei dem England und Frankreich sich gegen Russland verbündeten? Und dass in den 1950er- und 60er-Jahren der Grundstein für den Kalten Krieg gelegt wurde? Wollten die Designer hier eine modisch-historische Brücke schlagen?

Die Mode soll liefern, was die Zeit nicht schafft

Die erste Vermutung, also der fast schon sentimentale Wunsch nach einer heilen Welt, liegt näher, vor allem weil romantische Stilelemente in dieser Saison omnipräsent sind: Rüschen, Spitze, Schleifchen und Perlen aller Größen, Lingerie-Elemente, Organza-Überwürfe, Halskrausen und überdimensionale Schluppen finden sich nicht nur bei den üblichen Verdächtigen wie Chloé, Alberta Ferretti oder Zimmermann, sondern auch bei Coperni, McQueen, Fendi, Stella McCartney, Valentino und vielen mehr. Wenn die eigene Zeit schon keine Romantik liefert, dann muss hier eben die Mode aushelfen.

Fotocollage von drei Laufstegfotos von den Herbst-/Winter-Schauen 2025/2026, drei Models in sehr dicken Strickpullis.
Kuschelpullis: viel Strick auf den Laufstegen von Antonio Marras, Chanel und Sacai (von links nach rechts).Fotos: Catwalkpictures
Fotocollage von drei Laufstegfotos von den Herbst-/Winter-Schauen 2025/2026, drei Models in voluminösen Kleidern und Jacken aus Strick.
Mit dicken Maschen gegen Mutlosigkeit: Strick, am liebsten von Kopf bis Fuß, auf den Laufstegen von Fendi, Missoni und Max Mara (von links nach rechts).Fotos: Catwalkpictures
Fotocollage von vier Laufstegfotos von den Herbst-/Winter-Schauen 2025/2026, vier Models mit dicken Schals und wolldeckenartigen Überwürfen aus Strick.
Strick, Schals und Überwürfe bei Tod’s, Anteprima, Issey Miyake und Acne (von links nach rechts).Fotos: Catwalkpictures

Die Krisen wegkuscheln

In eine ähnliche Richtung geht der zweite große Modetrend dieser abgelaufenen Schauen-Saison: Die Designer bieten uns im kommenden Winter die Möglichkeit, es uns in den Kleidungsstücken gemütlich zu machen. Wir können uns „von der bösen Welt da draußen“ abschirmen und uns zum Beispiel in einem dicken weichen Mantel, einer übergroßen Kapuze oder in einem weiten Strickkleid einkuscheln. Selten war so viel Gestricktes auf den Laufstehen unterwegs: Chanel deklinierte sogar seine berühmten Jacken und Tweedkleider in dicken Maschen.

Fotocollage von drei Laufstegfotos von den Herbst-/Winter-Schauen 2025/2026, drei Models mit voluminösen Daunenjacken und -mänteln.
Puffer nach außen: dicken Daunen auf den Laufstegen von Junya Watanabe, Versace und Christian Wijnants (von links nach rechts).Fotos: Catwalkpictures

Kleidgewordene Geborgenheit

Wollige Decken-Überwürfe und Stolas wie bei Acne, Issey Miyake, Sacai und Anteprima wiegen uns in Sicherheit, so wie die Kuscheldecke den kleinen Linus von den Peanuts. Dicke Oversize-Pullis und Cardigans wie von Antonio Marras, Mame Kurogouchi und – natürlich nicht zu vergessen – Missoni sind Kleider gewordene Inkarnationen von Gemütlichkeit und Geborgenheit. Bei Kenzo wird das Kuschelthema auf die Spitze getrieben, mit einer Jacke komplett aus hellrosafarbenen und hellblauen Stoffhasen (siehe letztes Bild).

Fotocollage von vier Laufstegfotos von den Herbst-/Winter-Schauen 2025/2026, vier Models in stark überdimensionierten Jacken und Mänteln aus Fake Fur.
Mode zum Verstecken: überdimensionierte Jacken und Mantel von Etro, Abra, McQueen und Sportmax (von links nach rechts).Fotos: Catwalkpictures

Dass Daunen noch lange nicht vom Laufsteg verschwunden sind und noch viel dicker als sonst daherkommen, ist ebenfalls der Suche nach Wohlgefühl geschuldet. Materialien wie Echtpelz und Fake Fur, Flauschstoffe oder Layerings in Wolle und Kaschmir sind weitere Gewinner dieser Entwicklung. Es kann durchaus sein, dass sie uns bei einer gleichbleibenden geopolitischen Lage auch noch etwas länger begleiten werden.

Fotocollage von vier Laufstegfotos von den Herbst-/Winter-Schauen 2025/2026, vier Models in stark überdimensionierten Jacken mit extrem breiten Schultern.
Schultern zum Anlehnen auf den Catwalks von Coperni, Comme des Garçons, Acne und Jil Sander (von links nach rechts).Fotos: Catwalkpictures

Modische Kampfansage: Back to Business

Aber nicht alle Designer ducken sich weg. Es gibt genügend, die sich den harten Zeiten stellen wollen mit einem Kleidungsstil, der ausdrückt: Nicht mit uns! Diese Kreativen sehen eine Rückkehr zur machtvollen Klassik, eine Rückkehr der Powerfrau und zu echten Statements. Die Businessmode ist zurück – in Grau, Schwarz und Weiß. Und weil wir davon schon genug haben, oft auch in auffälligem Orange, Rot und einem dunklen Violett. Stella McCartney, Ferrari, Max Mara, Tom Ford, Michael Kors, Givenchy, Balmain, aber vor allem Balenciaga, Calvin Klein und Saint Laurent zeigen, dass Frauen im Kampf gegen die Krisen sehr wohl mitreden wollen.

Fotocollage von drei Laufstegfotos von den Herbst-/Winter-Schauen 2025/2026, drei Models in Business-Outfits in Grau mit femininen Schnitten.
Breitschultrig ins Business in Entwürfen von Michael Kors, Stella McCartney und Givenchy (von links nach rechts).Fotos: Catwalkpictures
Fotocollage von drei Laufstegfotos von den Herbst-/Winter-Schauen 2025/2026, drei Models, links im blauen Mantel, rechts im gold-beigen Anzug, in der Mitte mit grauem Jackett über einem Mini-Strickkleid.
Back to Business mit femininem Touch bei Balenciaga, Luisa Spagnoli und Victoria Beckham (von links nach rechts).Fotos: Catwalkpictures

Röcke kommen wieder, aber vor allem breite Schultern, die Widrigkeiten nonchalant wegrempeln können. Die Silhouette dieser Powerfrauen gleicht der in den Achtzigern, oben breit, mit schmaler Taille, die mit Gürteln betont wird, und langen Beinen, verlängert dank High Heels und hohen Stiefeln. Diese Weiblichkeit strahlt Macht aus. Aber sie hat neben ihrer professionellen Attitüde auch ein sexy Pendant, das auf Verführung setzt und mit Transparenz um Blicke heischt.

Fotocollage von drei Laufstegfotos von den Herbst-/Winter-Schauen 2025/2026, drei Models, links im cremfarbenen Mantel, rechts im schwarzen Minirock mit breitschultriger weißer Bluse, in der Mitte mit grauem Hosenanzug in lässigem Schnitt.
Frauenpower mit fließenden Schnitten auch bei Calvin Klein Collection, Dries van Noten und Chloé (von links nach rechts).Fotos: Catwalkpictures

Zu diesem Trend passen neben klassischen Anzügen enge Bleistiftröcke, Bomberjacken, Outfits in Leder, transparente Spitze und Statement-Elemente wie hohe Kragen und auffälliger Schmuck.

Rückbesinnung auf Tradition und eigene Markenwerte

Kommen wir zum letzten großen Trendblock dieser Schauenwochen: Der Rückbesinnung auf die eigenen Werte, Traditionen wie auch das Bekräftigen einer Marken-DNA. Je mehr aktuell die Globalisierung kritisiert wird, desto mehr erstarken nationale Strömungen. Wie sieht die traditionelle einheimische Mode aus? Welche Techniken und Handarbeiten sind kulturell bedeutend für ein Land, eine Region? Umgesetzt wird das in dieser kommenden Wintersaison in einer Masse von Tartans und Karos. Norwegerpullis kommen zurück, aber in neuer, moderner Form. Italienische Marken schwelgen in hochwertigem Strick und edlen Wollgeweben, für die sie berühmt sind. Die Franzosen demonstrieren ihre Perfektion in der Konfektion und des „Flou“, der handwerklichen Verarbeitung von zarten und fast schon durchsichtigen Stoffen. Marken mit einer langen Geschichte, wie Saint Laurent, Givenchy oder Chanel haben das Glück, einfach ein Best of ihrer reichen Historie zeigen zu können.

Fotocollage von zwei Laufstegfotos von den Herbst-/Winter-Schauen 2025/2026, zwei Models, links im links im Norwegerpulli mit sehr breiten Schultern, rechts im Norweger mit offenen Ärmeln.
Norwegermode 2025 von Acne (links) und Kent & Curwen.Fotos: Catwalkpictures
Fotocollage von zwei Laufstegfotos von den Herbst-/Winter-Schauen 2025/2026, zwei Models, links ein weibliches Model in opulentem rot-braunem Tartan-Karo-Look, rechts ein männliches Model mit Rock, Sakko und Krawatte im blau-gelben Tartan-Karo.
Tartan für jede Lebenslage: Als opulentes Rüschenkleid mit blütengefüttertem Mantel bei Comme des Garçons, als Rock mit Sakko und Krawatte für ihn oder sie bei Andreas Kronthaler für Vivienne Westwood.Fotos: Catwalkpictures

Dieser Trendbereich mag im Augenblick noch untergeordnet zu bewerten sein, aber könnte in den kommenden Saisons massiv ausgebaut werden. Je mehr eine alte Weltordnung zerbricht, desto mehr werden der Blick auf den eigenen Bauchnabel zunehmen und in der Folge auch lokale oder nationale Stärken deutlicher herausgearbeitet.

Die Wintersaison 2025/26 könnte ein Auftakt werden zu einer spannenden neuen Mode-Epoche, in der alte Handwerkstechniken und traditionelle Kleidungsstücke ein Revival erleben. Eine Zeit, in der ein neues Selbstbewusstsein in der Kreation entsteht, das nicht mehr darauf achten muss, weltweit zu funktionieren, sondern seine eigene Handschrift ausleben darf. Mode ist – und das hat diese Fashion-Week-Saison klar gezeigt – ein Spiegel unserer aktuellen Welt. Und das soll bitte auch künftig so bleiben.

Fotocollage von drei Laufstegfotos, links ein Model mit einem rosafarbenen Plüschblouson und einer Kapuze mit langen Hasenohren, in der Mitte ein androgynes Model, das ein Schild mit der Aufschrift „The End is near“ hochhält, und rechts ein Model mit hellblauer Hose und Weste aus babyblauen und rosafarbenen Plüschhasen.
Eskapismus und bitterer Ernst im Wechsel: Auf den Laufstegen in London, New York, Mailand und Paris zeigten die Modeschöpfer ihre Vorschläge für einen Herbst/Winter 2025/2026 in unsicheren Zeiten, von Häschenmode bei Kenzo bis zum Weltuntergangspulli von Ashish.Fotos: Catwalkpictures
envelopeexit-upcrossarrow-up