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Schwarz-Weiß-Fotografie von Josephine Baker – berühmte afroamerikanische Tänzerin, Sängerin und Bürgerrechtlerin, Symbol des Jazz-Zeitalters und der Pariser Varietészene – im ikonischen Röckchen während einer Bühnenperformance in den 1920er-Jahren. Foto: AP Photo File/dpa
JOSEPHINE BAKER

Sie war so frei

Sie tanzte im Bananenrock, riskierte ihr Leben als Spionin und kämpfte unermüdlich gegen Rassismus: Wer war Josephine Baker? 50 Jahre nach ihrem Tod bleibt sie wegweisend.
Foto: AP Photo File/dpa

Paris im Oktober 1925. Eine Frau betritt die Bühne des Théâtre des Champs-Élysées. Sie trägt fast nichts. Ihr Körper bewegt sich wie der Jazz, zu dem sie tanzt: ungezähmt, elektrisierend, voller Wucht. Das Publikum tobt. Die Kritiker sind begeistert. Am nächsten Tag ist ihr Name in aller Munde: Josephine Baker.

Fünfzig Jahre nach ihrem Tod am 12. April 1975, im Alter von 68 Jahren, ist sie weit mehr als nur eine Tanzlegende. Sie gilt als Freiheitskämpferin, Widerstandskämpferin, Ikone der queeren Bewegung und Botschafterin der Diversität – und seit 2021 sogar als französische Nationalheldin. Als erste afroamerikanische Frau wurde sie am 30. November in das Pariser Panthéon aufgenommen, Frankreichs Ruhmestempel – Seite an Seite mit Größen wie Victor Hugo, Voltaire oder Marie Curie.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hält eine Gedenkrede bei der Zeremonie zur Aufnahme von Josephine Baker ins Pariser Panthéon. Die afroamerikanische Tänzerin, Sängerin und Widerstandskämpferin ist die erste schwarze Frau, die diese höchste nationale Ehrung Frankreichs erhält. Im Hintergrund ein Porträt Bakers in Uniform der Freien Französischen Streitkräfte.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hält bei der Zeremonie für Josephine Baker eine Rede. Baker ist die erste schwarze Frau, die in das Pariser Pantheon aufgenommen wurde.Foto: Sarah Meyssonnier/Reuters Pool/AP/dpa

Wer war die Frau, die für die Freiheit tanzte?

Geboren wurde sie als Freda Josephine McDonald am 3. Juni 1906 in St. Louis, Missouri. Ihre Kindheit: arm, hart, rassistisch. Mit acht Jahren arbeitete sie als Haushaltshilfe, sah die Häuser ihres Viertels brennen, Menschen, die aussahen wie sie, gelyncht an Bäumen. Mit dreizehn wurde sie von ihrer Mutter verheiratet, kurz danach die erste Scheidung. Diese Erlebnisse prägten sie. Und sie ließen sie eines schwören: dass sie nicht nur für sich selbst, sondern für die Freiheit aller kämpfen würde.

Die Bühne war ihre erste Waffe – der Humor, die zweite. Als sie Mitte der 1920er-Jahre nach Paris auswanderte, fand sie zum ersten Mal in ihrem Leben so etwas wie Anerkennung. Sie wurde zum Star, zur „Königin des wilden Tanzes“. Ihr „Banana Dance“ – zwischen Provokation, Selbstermächtigung und Satire – machte sie weltberühmt. Und zur Ikone einer Generation, die sich vom Mief des Kolonialismus befreien wollte.

Zwischen Erotik und Emanzipation

Ihr breiter Gürtel, an dem Plüschbananen hingen, wurde zu ihrem Markenzeichen – und zu einem provokanten Symbol zwischen Erotik und Emanzipation. In einer Zeit, in der Frankreich sich zwischen kolonialem Erbe und kultureller Offenheit bewegte, traf Baker den Nerv des Zeitgeists. Sie spielte mit exotischen Klischees, machte sich über rassistische Stereotype lustig. Ihre Auftritte waren nicht nur Spektakel, sondern Statements: eine Feier der Selbstermächtigung und des kulturellen Wandels.

Josephine Baker im weißen Abendkleid während der Wohltätigkeitsgala „Le Bal des Petits Lits Blancs“ im Moulin Rouge in Paris. Die berühmte Tänzerin und Sängerin schüttelt die Hand von Charlie Chaplin, der ihr nach ihrem Auftritt gratuliert. Die Szene zeigt zwei Weltstars des 20. Jahrhunderts in einem historischen Moment der gegenseitigen Wertschätzung.
Charlie Chaplin, britischer Schauspieler und Regisseur, gratuliert Josephine Baker, Tänzerin, Sängerin und Ikone der Goldenen Zwanziger Jahre, nach einem Auftritt bei der Wohltätigkeitsgala „Le Bal des Petits Lits Blancs“ im Moulin Rouge.Foto: AP Photo/dpa

Sie riskierte ihr Leben für ein freies Europa

Doch Josephine Baker wollte mehr sein als eine Entertainerin. Als sie 1937 den jüdischen Industriellen Jean Lion heiratete, nahm sie die französische Staatsbürgerschaft an. Und als der Zweite Weltkrieg begann, trat sie dem französischen Widerstand bei. Nicht nur symbolisch.

Sie nutzte ihre Prominenz und ihre Reisefreiheit als gefeierte Tänzerin, um im Widerstand gegen das Nazi-Regime geheime Botschaften zu transportieren. Und ihre Konzerte an der Front dienten nicht dem Ruhm, sondern der Moral – und als Einnahmen für die Résistance.

Josephine Baker lächelt an Bord des französischen Passagierschiffs „Liberté“ bei ihrer Ankunft im Hafen von New York City. Die weltberühmte Tänzerin, Sängerin und Aktivistin trägt ein elegantes Kostüm, Handschuhe und einen Hut.
Josephine Baker trifft an Bord des französischen Passagierschiffs „Liberté“ im Hafen von New York City ein – die Künstlerin zwischen zwei Welten war nicht nur eine gefeierte Entertainerin und Kämpferin gegen Rassismus und Ausgrenzung, sondern auch eine Brückenbauerin zwischen Europa und Amerika.Foto: AP Photo File/dpa

Marsch auf Washington

Nach dem Krieg wandte sich Josephine Baker verstärkt dem Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung zu. Beim historischen Marsch auf Washington für Arbeit und Freiheit 1963 – einem Schlüsselmoment der US-Bürgerrechtsbewegung – trat sie in der Uniform der Freien Französischen Streitkräfte ans Mikrofon.

Als einzige Frau ergriff sie vor Martin Luther Kings berühmter I-Have-a-Dream-Rede das Wort. Ihre Rede war ein leidenschaftlicher Aufschrei gegen die Ungerechtigkeit: Sie habe die Paläste von Königen und Präsidenten betreten, „doch in Amerika durfte ich nicht einmal in einem Hotel einen Kaffee trinken“.

Liebe ohne Grenzen

Auch ihr Privatleben war ein Statement. Sie liebte Männer, sie liebte Frauen – offen und selbstbewusst. Und sie adoptierte zwölf Kinder unterschiedlicher Herkunft und Religion. Ihre Regenbogenfamilie war keine Image-Pflege, sondern gelebte Vision.
„Ich wollte beweisen, dass Menschen verschiedener Hautfarben, Kulturen und Religionen miteinander leben können – wie Brüder und Schwestern.“ Heute wird Baker auch als frühe queere Ikone gefeiert.

Josephine Baker bei einem glamourösen Auftritt in der Olympia Music Hall in Paris während ihrer Show „Paris, mes Amours“: Die legendäre Tänzerin und Sängerin trägt einen gigantischen weißen Kopfschmuck, ein glitzerndes Kleid mit Strassbesatz und hält ein strassverziertes Mikrofon. Die Ikone der 1920er-Jahre bleibt bis ins hohe Alter ein gefeierter Star und Symbol für Eleganz, Vielfalt und Widerstand.
Josephine Baker in der Show „Paris, mes Amours“: Auch im späteren Leben begeisterte die gefeierte Künstlerin mit Eleganz, Bühnenpräsenz und ungebrochener Strahlkraft.Foto: AP Photo File/dpa

Heldin in Frankreich, Liebesbriefe in Berlin

1926 brachte sie ihre wilden Rhythmen auch nach Berlin. In ihren Memoiren schrieb sie später: „Berlin, das ist schon toll! Ein Triumphzug. Man trägt mich auf Händen. In keiner anderen Stadt habe ich so viele Liebesbriefe, Blumen und Geschenke bekommen.“

Doch bei ihrem zweiten Besuch 1929 hatte sich das politische Klima verändert. Nationalistische Blätter hetzten gegen sie, nannten sie einen „Halbaffen“. Nach drei Wochen reiste sie überstürzt wieder ab.

Baker starb wenige Tage nach ihrer letzten großen Show in Paris am 9. April 1975. 46 Jahre später folgte die höchste Ehrung: die Aufnahme ins Panthéon. In seiner Gedenkrede würdigte Präsident Emmanuel Macron sie als eine „Kämpferin, eine Künstlerin, eine Frau, die nicht nur das schwarze Volk verteidigt hat – sondern die Menschheit.“

Warum ihr Erbe heute mehr denn je zählt

Sie war Tänzerin, Spionin, Aktivistin, Mutter, Liebende. Und in allem – kompromisslos. In einer Zeit, in der alte Feindbilder wiederkehren und in vielen Ländern Nationalismus und Ausgrenzung wieder salonfähig werden, bleibt ihr Leben ein Wegweiser: für Courage, Vielfalt und die unerschütterliche Überzeugung, dass man die Welt verändern kann – auch mit Plüschbananen.

Schwarz-Weiß-Fotografie von Josephine Baker – berühmte afroamerikanische Tänzerin, Sängerin und Bürgerrechtlerin, Symbol des Jazz-Zeitalters und der Pariser Varietészene – im ikonischen Röckchen während einer Bühnenperformance in den 1920er-Jahren.
Josephine Baker, Tänzerin, Sängerin und Ikone der Goldenen Zwanziger Jahre, während ihres Ziegfeld-Follies-Auftritts von „The Conga“ auf der Bühne des Winter Garden Theater in New York.Foto: AP Photo File/dpa
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