
Glanz, Macht und Mythos
Cartier ist der König der Juweliere und der Juwelier der Könige – dieses geflügelte Wort prägte um 1900 der britische König Edward VII. Ein guter Grund für das Victoria & Albert Museum in London, die umfangreiche Sammlung der Juwelen und Uhren der Maison in einer einzigartigen Ausstellung zu präsentieren.
Im Oktober lockt das V&A noch einmal mit besonderen Programmpunkten rund um „Cartier“: vom V&A‑Academy‑Wochenend‑Workshop „Hand & Lock Embroidery“ (11.–12. Oktober) bis zum Talk „Cartier’s Panther“ am 13. Oktober – auf Wunsch auch als Livestream. Begleitende Features und Videos vertiefen die Schau.

Louis-François: Erneuerer mit Respekt vor der Form
Louis-François Cartier, der 1847 die Geschicke der Maison in seine Hände nahm, war ein Erneuerer, der lieber Trends schuf als ihnen zu folgen. Er war auch ein Juwelier, der der berühmteste Juwelier der Welt werden wollte. Sein Kundenkreis gehörte zur feinsten Gesellschaft, zu Hause in den vornehmsten Salons an den exklusivsten Orten. Neuerungen in der Gestaltung seiner Schmuckstücke führte er mit gebührendem Respekt für klassische Formen ein.
In den 1890er-Jahren standen die bildenden Künste unter dem Einfluss des Art nouveau, aus dem sich der Jugendstil in Deutschland, der „Modern Style“ in Großbritannien und die Sezession in Österreich entwickelten. Die Linien sind selten gerade, eher wellenförmig. Die Darstellung der Natur folgt eher suggestiven als figürlichen Kriterien, mit rankendem Blattwerk und Blüten.

Platin und das Licht der Steine
Die scheinbar traditionsbewusste Wiederaufnahme des floralen Girlandenstils in Verbindung mit dem neuen Material Platin ist ein gutes Beispiel für die Fähigkeit Cartiers, das Gleichgewicht zwischen Tradition und Weiterentwicklung zu wahren. Die Härte des Edelmetalls Platin ermöglichte dem Juwelier, Diamanten und andere Edelsteine in filigranen Fassungen zu fixieren und so den Stein mit größtmöglichem Lichteinfall zum Leuchten zu bringen.
Alfred Cartier – moderner Netzwerker
Louis-François' einziger Sohn, Alfred Cartier, der 1874 im Alter von 33 Jahren das Unternehmen übernahm, hatte von seinem Vater gelernt, dass ein exklusives Kundennetzwerk essenziell für den Verkauf der Juwelen, Uhren und dekorativen Objekte ist. Nicht selten bat er bestehende Kunden um Referenzen und erweiterte so geschickt den Kundenkreis.

Es traf sich gut für die Maison, dass 1902 die Krönung König Edwards VII., dem Erstgeborenen von Königin Victoria, in London stattfinden sollte. Der Thronfolger war bereits seit Jahren ein guter Kunde von Cartier. Die geladenen Krönungsgäste wandten sich an den Pariser Juwelier, um ihren Schmuck neu fassen zu lassen. Im gleichen Jahr eröffnete die Maison ihre erste Niederlassung in London, und bei der Krönung von König Edward VII. und Prinzessin Alexandra sah man zahlreiche Tiaras, Colliers und Armbänder aus dem Haus Cartier, die derzeit sehr eindrucksvoll im Victoria & Albert Museum zu bewundern sind.
Die dritte Generation: Paris, London, New York
Die Erfolgsgeschichte der Maison setzt sich mit der Eröffnung einer weiteren Niederlassung in New York fort. So hatten die Brüder Louis (1874–1942) in Paris, Jacques (1884–1941) in London und Pierre (1878–1959) in New York das Unternehmen in drei Niederlassungen aufgeteilt, was geschäftlich – vor allem aufgrund der politischen Lage in Europa – nicht ganz einfach war. Kreatives Zentrum blieben die Werkstätten in Paris, die unter dem Motto „Never copy, only create“ weiterhin die kreativsten Schmuckkollektionen entwarfen.
Belle Époque, Gilded Age und die nouveaux riches
Die fortschreitende Industrialisierung in Europa und in den Vereinigten Staaten führte zu einer Zeit der wirtschaftlichen Stabilität, die eine neue Gesellschaftsschicht, die „nouveaux riches”, hervorbrachte. Die Belle Époque in Europa und das Gilded Age in Amerika fanden eine soziale Wertschätzung der vornehmen europäischen Traditionen. So heirateten zahlreiche amerikanische „Dollar-Prinzessinnen“ in die englische Aristokratie ein und brachten neues Geld in die Welt des alten britischen Adels. Selbstbewusst und selbstständig beauftragten sie die Maison mit der Kreation wertvoller Schmuckstücke, die sie aus eigener Tasche bezahlten.

Marjorie Merriweather Post gehörte zur erfolgreichen amerikanischen Post-Cereal-Familie und war mit 27 Jahren bereits die reichste Amerikanerin ihrer Zeit. Sie war eine leidenschaftliche Kunstsammlerin und liebte Cartier. 1928 ließ sie eine Brosche aus indischen gravierten Smaragden von insgesamt 250 Karat bei Cartier New York zu einer Schulterbrosche umarbeiten.



Die Ausstellung zeigt neben den kostbaren Juwelen auch Uhren und bezaubernde Deko-Objekte wie die ikonischen „Mystery Watches“ aus der V&A- und Cartier-Sammlung sowie bisher unveröffentlichte Zeichnungen und Leihgaben Seiner Majestät des Königs aus der Royal Collection, aus großen britischen Museen sowie aus Privatsammlungen.
Die Königshäuser und der Adel waren stilgebend bis zum Ende des 19. Jahrhunderts und beeinflussten die Moden der Zeit. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kamen mit wachsender Bedeutung der Filmindustrie die Schauspielerinnen aus Hollywood hinzu.


Die Kuratorinnen der Ausstellung, Helen Molesworth und Rachel Garrahan, beschreiben die Schau: „Cartier ist eines der berühmtesten Juwelierhäuser der Welt. Die Ausstellung zeigt, wie Louis, Pierre und Jacques Cartier gemeinsam mit ihrem Vater Alfred eine Strategie aus originellem Design, außergewöhnlicher Handwerkskunst und internationaler Expansion verfolgten, die den Pariser Familienjuwelier zu einem bekannten Namen machte. Mit seiner Schmuckkollektion von Weltrang ist das V&A die perfekte Bühne, um die Pionierleistungen von Cartier und seine transformative Fähigkeit zu würdigen, seit über einem Jahrhundert im Zentrum von Kultur und Kreativität zu stehen.“

Weitere Infos
Die Ausstellung ist bis zum 16. November 2025 im Victoria & Albert Museum, London, zu sehen.
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen: Helen Molesworth und Rachel Garrahan, CARTIER, V&A Publishing, 2025.
Besonders lesenswert: Francesca Cartier Brickell, The Cartiers – The Untold Story of the Family behind the Jewellery Empire, Ballantine Books, New York, 2019.