Der Juwelier unter den Feinuhrmachern
Der postmoderne Ansatz, ein halbfertiges Produkt zu launchen und erst nach dem Kundenfeedback zu optimieren, steht im diametralen Gegensatz zur Maxime des 1855 geborenen Uhrmachers Georges-Édouard Piaget: „Es stets besser machen als nötig“. Mit dieser Philosophie haben er und seine Nachfahren es weit gebracht – das Haus Piaget feiert gerade seinen 150. Geburtstag und brilliert stärker denn je.
Begonnen hat alles in dem kleinen Bergdorf La Côte-aux-Fées im Schweizer Jura. Dort gründete Georges-Édouard Piaget, 19-jähriger Spross einer Uhrmacherfamilie, im Jahr 1874 sein Atelier, um hochpräzise Uhrwerke zu bauen, die den Grundstein für die Kreation aller Uhren der Manufaktur – heute sagt man Maison – legen sollten. Seine Laufwerke zeichneten sich von Anfang an durch außergewöhnliche Qualität und Genauigkeit aus.
Yves Piaget bei der Eröffnung einer Ausstellung in Monte-Carlo. Das Video zeigt im Zeitraffer den Aufstieg des Hauses Piaget zur Haute-Joaillerie-Manufaktur. Zu sehen sind Meilensteine seiner spektakulären Uhren- und Schmuck-Kreationen sowie Stars und Freunde der Marke wie Jackie Kennedy, Ursula Andress, Roger Moore, Andy Warhol und Salvador Dalí. Der Film endet mit ein paar Worten des Präsidenten Yves Piaget, die auf die Marke heute so zutreffen wie zu der Zeit, als sie gesprochen wurden. Video: Piaget
Von Weltrekord zu Weltrekord
Das Savoir-faire des Hauses perfektionierte sich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt mit der Expertise und den technischen Möglichkeiten der nachfolgenden Generationen. In den 1930er-Jahren übernahmen Georges-Édouards Enkel Gérald und Valentin die Geschäfte bei Piaget. Letzterer, verantwortlich für die Produktion und das Design der Uhren, war die treibende Kraft bei der Entwicklung des ultraflachen Uhrwerks, einer Innovation, die den Weg für alle nachfolgenden Errungenschaften der Manufaktur ebnete. Das Kaliber „9P“, ein hochpräzises mechanisches Uhrwerk mit Handaufzug, das nur zwei Millimeter hoch war, wurde 1957 vorgestellt. 1960 folgte das „12P“, in dem sich die damalige Begeisterung für die Entwicklung von Automatikwerken widerspiegelte. Es war mit einer Bauhöhe von lediglich 2,3 Millimetern das flachste Automatikwerk der Welt. Diese Erfindungen revolutionierten nicht nur das Kaliber im Inneren der Uhr, sondern befreiten auch Gehäuse und Zifferblatt von technischen Zwängen und Größenbeschränkungen.
Kreativität und Wagemut
Doch Valentin Piaget ging noch weiter: Er verlieh der Marke Piaget ihren Ruf als „Juwelier der Uhrmacherei“, indem er Ende der 1960er-Jahre Piagets eigenes Kreativstudio gründete und eine spektakuläre Kollektion von Manschetten-Uhren schuf, die mit jeder neuen Kreation mutiger wurden. Und er wagte als einer der ersten, extrem harte Materialien als Zifferblätter einzusetzen. Valentin brachte Edelsteine wie Onyx, Jade, Opal, Lapislazuli, Türkis und Tigerauge in die Uhrenfertigung ein und ließ teilweise mehr als dreißig verschiedene Steine in einem einzigen Schmuckstück verarbeiten.
So geschmeidig wie Stoff
Angetrieben vom kreativen Kopf der Maison schufen die Kunsthandwerker der Manufaktur eine vollkommen neue Art von Schmuckuhren mit einer avantgardistischen Handschrift: wie Stoff strukturiertes Edelmetall in Kombination mit Schmucksteinen, deren leuchtende Farben die Manschettenuhren und Sautoirs – Uhren, die an einer langen Kette um den Hals getragen werden –, zum Strahlen brachten.
Eine eigene Dekortechnik
Für noch mehr Exklusivität entwickelte Piaget seine eigene „Décor-Palace“-Technik. Traditionell vertraut mit der Handwerkskunst des Guilloché, einer Gravurtechnik, die in der Feinuhrmacherei seit Jahrhunderten zur Veredelung von Zifferblättern verwendet wird, führte das Atelier diese Dekoration über die Grenzen des Zifferblatts hinaus. Es begann, seine eng gewebten Goldarmbänder zu gravieren, um reiche, dicht strukturierte Ornamente zu erzeugen, die die Muster der Natur, wie Rinde, Fell oder Frost imitieren.
Valentin Piaget beauftragte Designer, die eher aus dem Schmuckbereich als aus der Uhrmacherei stammten, etwas noch nie Dagewesenes zu kreieren. Er ermutigte sie, nach Paris zu reisen und sich von den neuesten Couture-Modenschauen inspirieren zu lassen. Die Designer zeichneten ihre Entwürfe direkt auf die Fotoseiten von Modemagazinen, um das Streben nach Freiheit und Modernität aufzugreifen, das die Welt in den Sixties und Seventies prägte.
Von Los Angeles bis Tokio
Piaget wurde zum Darling des internationalen Jetsets und in Hollywood, nicht nur für seine Schmuckuhren, sondern auch für die opulenten Juwelen, die das Atelier kreierte. Liz Taylor, die sich von ihren zahlreichen Ehegatten gern mit ausgefallenen Preziosen beschenken ließ, war ein großer Fan, ebenso wie Jackie Kennedy, Ursula Andress, Alain Delon und Roger Moore. Unter dem Namen Piaget Society fanden – und finden – rauschende Feste statt, die oft sämtliche Protagonisten des legendären Studio 54 vereinten, und heute die Welt der Stars von Los Angeles bis Tokio.
Von Andy Warhol ist bekannt, dass er ab 1973 Piaget-Uhren sammelte und mindestens zehn Exemplare besaß. Ab 1979 pflegte er eine enge Freundschaft zu Yves Piaget, dem Sohn von Gérald und späteren langjährigen Präsidenten der Marke. Die seither legendäre „Warhol Uhr“ ist bis heute eine Ikone der Maison, die seit 1988 unter dem Dach des Luxusgüterkonzerns Richemont zu Hause ist.
Inspiration statt Reproduktion
Im Jubiläumsjahr 2024 knüpft Piaget mit einer Hommage an das kreative goldene Zeitalter der Maison in den 1960ern und 1970ern an. Die historischen Stücke sollten dabei nicht reproduziert werden, vielmehr sollen die neuen Uhren- und Schmuckkreationen aus den Piaget High Jewellery Ateliers in Genf inspiriert von der Vergangenheit sein, Originalität und Eleganz beibehalten und gleichzeitig den Schritt in die Moderne gehen – wie seit 150 Jahren unter der Losung, es stets besser zu machen als nötig.