Sonntag, 20. April 2025
Sonntag, 20.04.25
Logo Substantial Times
Magazin für modernes Leben
Eine Frau mit Pelzmütze und Lederjacke zielt mit einem Gewehr an der Kamera vorbei, ein Auge ist geschlossen. Die Szene spielt im Freien, umgeben von Natur. Foto: Neue Visionen
NIKI DE SAINT PHALLE BIOPIC

Die Macht des Weiblichen

Sie schoss auf ihre Bilder, kämpfte für Frauen und ist bis heute unvergessen. Warum der neue Film über Niki de Saint Phalle keines ihrer Werke zeigt und trotzdem tief bewegt.
Foto: Neue Visionen

Ein Biopic ohne Bilder: Der neue Film über Niki de Saint Phalle darf ihre Kunstwerke nicht zeigen. Ein Porträt über eine Künstlerin, die selbst zur Leinwand wurde.

Filmplakat mit dem Porträt einer jungen Frau mit dunklem Haar und Pony, die nachdenklich zur Seite blickt. Der Titel „Niki de Saint Phalle“ steht in gelber Schrift auf zerbrochenem Glas.
Filmplakat zum Biopic „Niki de Saint Phalle“ von Céline Sallette mit Charlotte Le Bon in der Hauptrolle.Bild: Neue Visionen

Ein Biopic ohne Bilder: Céline Sallettes mutiges Filmdebüt

Derzeit läuft in den deutschen Kinos das Regie-Debüt der französischen Schauspielerin Céline Sallette („Haus der Sünde“) mit dem Biopic „Niki de Saint Phalle“ über die französisch-amerikanische Künstlerin. Niki de Saint Phalle (1930-2002) ist eine der bedeutendsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts. Mit ihrem Werk kämpfte sie unerschrocken für den Feminismus und war ihrer Zeit weit voraus.

Die kanadische Schauspielerin Charlotte Le Bon verkörpert die Frau und Künstlerin Niki de Saint Phalle frappierend realistisch und ist ihr dazu fast wie aus dem Gesicht geschnitten. Basierend auf ihren Autobiografien beschreibt der Film die Geschichte der feministischen Künstlerin – ohne deren Werke zu zeigen.

Die Enkelin Bloum Cardenas, Vorsitzende der Fondation Niki de Saint Phalle (nikidesaintphalle.org), hat jegliche Mitarbeit am Film verweigert und der Regisseurin untersagt, das Werk ihrer Großmutter zu zeigen. Warum? In dem Film wird der inzestuöse Missbrauch der Künstlerin durch ihren Vater thematisiert, den de Saint Phalle erst Ende der 1990er-Jahre in ihrer Biografie beschrieb. Bis heute liegt dieser Inzest wie ein Schatten über ihrem Werk.

Eine Frau mit kurzem dunklem Haar und Strohhut steht in sommerlicher Kleidung vor unscharfem, grünem Hintergrund im Freien. Sie blickt ruhig und konzentriert zur Seite.
Charlotte Le Bon in der Rolle von Niki de Saint Phalle – der Film zeigt auch die stillen, suchenden Momente im Leben der Künstlerin.Foto: Neue Visionen

Eine schwere Kindheit: Trauma, Tabus und der lange Schatten der Vergangenheit

Auch ohne den Blick auf ihre Arbeiten bewegt die Geschichte der Künstlerin. Ständig auf der Suche nach dem eigenen Selbst verlässt sie früh das ungeliebte Elternhaus und versucht sich als Modell, Schauspielerin und Mutter, bis sie 1953 nach einem psychischen Zusammenbruch die Malerei als ultimative Ausdrucksform entdeckt.

Inspiriert von einem Besuch des von dem spanischen Künstler und Architekten Antoni Gaudí gestalteten Park Güell in Barcelona beginnt sie verschiedene Materialien, kräftige Farben und „Objets Trouvés“ in ihrer Kunst einzusetzen. Alltagsgegenstände wie Knöpfe, Steine oder Kaffeebohnen dienen als dekorative Elemente in ihren Bildern.

Eine Frau in lockerer Kleidung sitzt auf dem Boden in einem Zimmer, umgeben von Zeitungen und einer offenen Kiste mit künstlichen Blumen. Sie blickt mit offenem Ausdruck nach oben in die Kamera.
In einer Schlüsselszene des Films: Niki de Saint Phalle, gespielt von Charlotte Le Bon, entdeckt ihre kreative Ausdrucksform – der Beginn eines radikalen künstlerischen Wegs.Foto: Neue Visionen

Von Schießbildern zu Nanas: Das Leben der Niki de Saint Phalle

Später verarbeitete Niki de Saint Phalle auch Nägel, Scherben oder mit Farbe gefüllte Luftballons, die sie auf Holzplatten mit Gips oder Kunststoff fixierte. In einem Happening schoss sie selbst auf die Farbbeutel oder forderte gar die Zuschauer auf, mit einem Gewehr auf die Kunst zu schießen. Sie selbst sagt dazu in ihrer Biografie: „1960 war ich eine zornige Frau. Ich war bereit zu töten. Das Opfer, das ich wählte, waren meine eigenen Bilder. In meinen Schießbildern arbeitete ich kleine Farbbeutel hinter Gips ein und schoss auf sie. Dann bat ich den Betrachter, auf mein Bild zu schießen. Ich wurde zum Zeugen meiner eigenen Mordaktion. Die Bilder bluteten. Die weiße Oberfläche wurde mit ausspritzender Farbe bedeckt. Das Bild begann zu leben.“

Objektkunstwerk mit einem zerschossenen, bemalten Männerhemd samt Krawatte, auf einem schwarzen Hintergrund mit runder Zielscheibe anstatt Kopf über dem Kragen.
„Portrait of my Lover“ – ein ikonisches Bild, in dem Niki de Saint Phalle patriarchale Machtstrukturen symbolisch angreift. Das Bild wird in der Ausstellung „Love you for Infinity“ vom 6. September 2025 bis 14. Februar 2026 im Sprengel Museum Hannover zu sehen sein.Foto: Sprengel Museum

Mit den Schießbildern, die sie französisch „Tirs“ nannte, gelang de Saint Phalle der Durchbruch und sie wurde Mitglied der Gruppe der „Nouveaux Réalistes“ in Paris und Nizza, zu der unter anderem Jean Tinguely, Yves Klein, der Objektkünstler Arman sowie Christo und Jeanne-Claude gehörten.

1963 entstand eine Reihe von Skulpturen und Objektbildern, von Müttern, Hexen, Huren und Bräuten. Mit diesem Werken setzte sich Niki de Saint Phalle mit der Rolle der Frau in der Nachkriegsgesellschaft auseinander. Diese Themen spielten fortan eine immer wichtigere Rolle in ihrem Werk. Inspiriert von der Schwangerschaft ihrer Freundin Clarice Rivers entstanden 1965 üppige Frauenfiguren aus Maschendraht, ummantelt von Pappmaché und Stoffresten, die sie Nanas nannte.

Skulptur einer üppigen weiblichen Figur in Schwarz, ausgestellt in einem hellen Museumssaal.
Die ikonische „Nana Noir“ als Symbol weiblicher Stärke und Sinnlichkeit – ausgestellt im Sprengel Museum Hannover. Auch dieses Werk wird in der Ausstellung „Love you for Infinity“ vom 6. September 2025 bis 14. Februar 2026 im Sprengel Museum Hannover zu sehen sein.Foto: Sprengel Museum

Matriarchat als Vision: Nanas, Tarot und die Macht des Weiblichen

Niki de Saint Phalles Nanas bleiben mit ihrer voluminösen Weiblichkeit Symbole für Mutterschaft, Fruchtbarkeit und das Matriarchat. Ihre rundliche, stark abstrahierte Form erinnert an steinzeitliche Figuren. Sie sagt dazu: „Ich sehe sie als Vorboten eines neuen matriarchalischen Zeitalters, von dem ich glaube, dass es die einzige Antwort ist. Sie repräsentieren die unabhängige, gute, gebende, glückliche Mutter.“

Die Nanas fanden fortan internationale Beachtung und gelten bis heute als ikonografische Skulpturen der Künstlerin. Die Fondation Maeght in Saint-Paul-de-Vence im Süden Frankreichs zeigte 1968 im Rahmen der Ausstellung „L'art Vivant 1965–1968" eine „Maison Nana“, und die Stadt Hannover stellte 1974 unter zum Teil großen Protesten der Bevölkerung drei große Nanas am Ufer der Leine auf, die heute zu den begehrtesten Fotomotiven der Stadt zählen.

Drei große, bunte Skulpturen in weiblicher Form stehen auf einer Uferpromenade unter freiem Himmel.
Die berühmten „Drei Nanas“ am Leineufer in Hannover – ein Wahrzeichen feministischer Kunst im öffentlichen Raum.Foto: Lars Gerhardts/HMTG

Das Vermächtnis: Eine Ehrenbürgerin und ihre Stiftung

Im Sprengel Museum Hannover (https://www.sprengel-museum.de/) fand im Jahr 1969 ihre erste Retrospektive statt, daher fühlte sich die Künstlerin der niedersächsischen Hauptstadt besonders verbunden und übergab im Jahr 2000 mehr als 400 Werke dem Sprengel Museum. Als erste und einzige Frau bis heute wurde Niki de Saint Phalle zur Ehrenbürgerin der Stadt Hannover ernannt.

Grafik einer schwarzen Nana-Figur mit buntem Sichelmond auf tiefblauem Hintergrund mit weißen Sternen, in dynamischer Tanzhaltung.
Niki de Saint Phalle feiert in dem Werk „Angel with Stars“ Weiblichkeit, Kosmos und Lebensfreude zugleich. Bild aus der kommenden Ausstellung „Love you for Infinity“, ab dem 6. September 2025 im Sprengel Museum Hannover.Foto: Sprengel Museum

Ein Garten der Träume – Der Tarot-Garten in der Toskana

1979 begann sie mithilfe ihrer Freundin, der Kunstsammlerin, Fotografin und Ehefrau von Gianni Agnelli, Marella Caracciolo Agnelli, den Bau des „Giardino dei Tarocchi“ (deutsch: Tarot-Garten), ein Kunst-Park in einem ehemaligen Steinbruch bei Garavicchio in der Toskana. Inspiriert von dem Kartenspiel Tarot de Marseille, das eher zum Wahrsagen als zum Spielen eingesetzt wird, schuf die Künstlerin 22 monumentale Skulpturen, die sie mit farbigen Mosaiksteinchen und Spiegelscherben besetzte und bunt bemalte.

Die „Kaiserin“, die so voluminös war, dass Niki de Saint Phalle mehrere Jahre während der Entstehungszeit des Tarot-Gartens darin wohnen konnte, entstand unter Mithilfe ihres Mannes Jean Tinguely und vieler weiterer lokaler Handwerker. In rund 20 Jahren schuf sie Skulpturen mit Namen wie Die Päpstin, Die Sonne, Der Bau des Lebens oder Der Drache, bis der Park 1998 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde.

Als ein weiterer wichtiger Meilenstein gilt der von der Stadt Paris 1982 in Auftrag gegebene Strawinski-Brunnen vor dem Centre Pompidou, den sie gemeinsam mit Jean Tinguely gestaltete. 16 Skulpturen drehen sich in dem Becken, sprühen Wasser aus Objekten wie bunten Herzen, roten Lippen oder Schlangenmäulern.

Bunte, großformatige Schädelskulptur mit Mosaik aus Spiegeln, Keramik und Glas in kräftigen Farben wie Rot, Grün, Gold und Blau, vor dunklem Hintergrund.
Niki de Saint Phalles Totenschädel-Skulptur „Scull“ vereint Todessymbolik mit lebensbejahender Farbigkeit – aus der Ausstellung „Love you for Infinity“, die ab dem 6. September 2025 im Sprengel Museum Hannover gezeigt wird.Foto: Sprengel Museum

Kommende Ausstellung „Love you for Infinity“ im Sprengel Museum Hannover

Das Sprengel Museum Hannover präsentiert vom 6. September 2025 bis 14. Februar 2026 die Ausstellung „Love you for Infinity“. Erstmalig werden die Werke der Künstlerinnen Niki de Saint Phalle, Yayoi Kusama und des Künstlers Takashi Murakami gemeinsam gezeigt. Durch die Schenkung, die de Saint Phalle im Jahr 2000 dem Museum machte, ist das Sprengel Museum im Besitz zahlreicher Werke aus verschiedenen Schaffensperioden. Neben den ikonischen Schießbildern und den üppigen Nanas werden Yayoi Kusamas „Infinity-Room“-Installationen bis hin zu Takashi Murakamis farbenprächtigen, poppigen Kaikai-Kiki-Motiven gezeigt.

Installation mit hunderten leuchtenden, bunten Kugeln in einem raumfüllenden Spiegelkabinett, das endlose Tiefe und Reflexion erzeugt.
Yayoi Kusamas „Infinity Mirror Room“– eine immersive Lichtwelt zwischen Meditation, Magie und Pop-Art, ab dem 6. September 2025 im Sprengel Museum Hannover zu sehen.Foto: Sprengel Museum
Großflächige Pop-Art-Arbeit von Takashi Murakami mit einem überdimensionalen bunten Mickey-Maus-Comic-Gesicht und sichtbarer Leinwandstruktur.
Takashi Murakami verbindet japanische Popkultur mit traditioneller Maltechnik – seine Figuren sind so verspielt wie tiefgründig. Sein Mickey-Werk „And Then” wird ebenfalls vom 6. September 2025 bis 14. Februar 2026 im Sprengel Museum Hannover zu sehen sein.Foto: Sprengel Museum

So vereinen sich Malerei, Skulptur, Installation, Grafik und Film zu einer facettenreichen Schau, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der künstlerischen Handschriften der drei Kunstschaffenden aus den unterschiedlichen Kulturkreisen USA, Frankreich und Japan erlebbar macht.

Was für Niki de Saint Phalle die Nanas sind, sind für Yayoi Kusama ihre Polka-Dots und für Takashi Murakami die Comic-artigen Bilder und stilisierten Blumen, die weltweit zum Inbegriff seines Schaffens geworden sind. Die Ausstellung wird inhaltliche und ästhetische Verbindungen der drei Künstler zeigen, von überschäumender Lebensfreude, Liebe und Vergänglichkeit, Feminismus, diversen Sexualitäten und männlicher Dominanz, Utopien und Angst bis hin zur Kommerzialisierung der Kunst. Alle drei eint eine Vorliebe für kraftvolle, farbenfrohe Bildwelten, die die Grenzen zwischen Kunst, Popkultur und Kommerz sprengen.

Weitere Infos:

Trailer zum Biopic Niki de Saint Phalle

Ausstellung „Love you for Infinity“ im Sprengel Museum Hannover:
6. September 2025 bis 14. Februar 2026

envelopeexit-upcrossarrow-up