
Der Letzte seiner Art
„Frauen sollten wie deutsche Schäferhunde aussehen, nicht wie Pekinesen.“ Das sagte mir Oliviero Toscani in einem Interview, das ich Anfang der Nullerjahre mit ihm führte. Das Gespräch begann sehr schlecht. Toscani, der sich überhaupt nicht für mich interessierte (ich war wohl nicht wirklich sein Typ), ignorierte mich bei den ersten Fragen komplett.
Ich: Mögen Sie blonde Frauen?
Toscani: Nein, blonde Frauen mögen mich!
Ich: Was ist Ihr Lieblingsstil?
Toscani: Eine weiße Bluse mit einem blauen Rock. Das ist sexy! Wie diese japanische Schulmädchen-Uniform.
Er schaute mich erst gar nicht an, er fummelte an seinem Computer herum. Die Fragen wurden schärfer, sein Interesse wuchs, am Ende brüllten wir uns fast an.
Es wurde ein gutes Gespräch.
Denn Toscani hatte eine Meinung. Zu allem. Und vor allem über Frauen.
Weil er immer provozieren wollte und bei mir auf fruchtbaren Boden fiel.
Weil er gern mit jemandem diskutierte. Auch wenn er überrascht war, dass der hartnäckige Gegner diesmal eine Frau war.
Fazit 1: Interviews wie dieses sind selten in unserer weichgespülten Welt.
Fazit 2: So kämpferische Charaktere wie Oliviero Toscani sind leider am Aussterben.
Nun ist auch er von uns gegangen. Ich wünsche ihm viele Engel in japanischen Uniformen.
R.I.P. Oliviero Toscani.

Das Interview
Ein Gespräch aus dem Jahr 2003 mit Starfotograf Oliviero Toscani, damals 61, über Mode, Stil und Frauen.
Der Termin fand am Abend eines Mode-Fotoshootings in Paris statt. Models, Visagisten und Stylisten waren bereits auf dem Heimweg. Zeit für Oliviero Toscani, sich am Laptop die gerade entstandenen Aufnahmen anzuschauen.
Herr Toscani, Sie fotografieren digital?
Oliviero Toskani: Ja, ich liebe es, neue Techniken auszuprobieren. Ich war auch der erste, der mit einer Polaroid Fotos geschossen hat. Automatikkamera, Autofokus – habe ich alles sofort genutzt. Warum auch nicht?! Die Technik erleichtert die Arbeit. Sie sind ja auch nicht mit der Pferdekutsche nach Paris gekommen, oder?
Was bedeutet für Sie Mode?
Mode ist für mich Ausdruck der Persönlichkeit. Kleider sind eine Art Visitenkarte eines Menschen.
Toscani schaut parallel weiter die Bilder vom Shooting an. Er beachtet mich kaum. Die Interview-Fragen beantwortet er nebenher.
Ihre Visitenkarte ist heute ein grünkariertes Hemd zu schwarzer Jeans. Dazu Puma-Turnschuhe …
Oh, ich sehe jeden Tag so aus. Ich bin sozusagen so geboren. Seit 1960 ziehe ich jeden Tag das Gleiche an: Hemd und Jeans. Ich mag es bequem.
Und wenn Sie Ihre Frau zum Dinner entführen oder vor einem großen Publikum einen Preis entgegennehmen?
Dann ziehe ich einfach ein Jackett darüber.
Jetzt lächelt er, aber seine Aufmerksamkeit gehört noch immer dem aktuellen Shooting.
Wie wichtig ist Mode für Männer?
Ich habe jede Menge Kollegen, die kleiden sich nur in Prada oder tragen ausschließlich Fendi. Ich könnte mich totlachen über die. Aber sie sollen machen, was sie wollen. Ich bin tolerant.
Und bei Frauen? Was ist Ihr Lieblingsoutfit bei Frauen?
Das ist ganz einfach: weiße Bluse zum blauen Rock. Das ist sexy! So wie diese japanische Schulmädchen-Uniform. Die mit den weißen Socken.
Ist so Ihre Frau angezogen?
Ja, meine Frau ist die bestangezogene Frau überhaupt. Sie trägt gerne Bluse, Sweater, Rock. Manchmal eine Hose. Ganz simpel.
Nun ist Toscani endlich ganz bei der Sache. Er klickt das aktuelle Shooting weg, öffnet einen digitalen Ordner mit alten Bildern. Eine attraktive, braungebrannte blonde Frau mit blauem Kopftuch erscheint auf dem Bildschirm.
Hier! Das ist meine Frau! Ach ja, und da ist Claudia (Schiffer). Das habe ich mit einer Polaroid geschossen. War das erste Cover mit einer Polaroid.
Stehen Sie auf blonde Frauen?
Nein, blonde Frauen stehen auf mich!
Wenn Sie eine Frau auf der Straße erblicken. Worauf schauen Sie?
Auf das Charisma.
Sie erkennen Charisma auf den ersten Blick?
Ja. Man sieht es im Gesicht. Ich habe das im Gefühl. Das kam sicherlich durch meine Arbeit: Durch eine Kamera zu blicken ist ein bisschen wie Psychologie. Wenn ich jemanden fotografiere, weiß ich, welche Persönlichkeit er hat. Ich liege niemals falsch.
Was ist für Sie Stil?
Erst mal möchte ich sagen, dass es nicht nur einen Stil gibt. Selbst Menschen, die nicht wissen, was Mode ist, können Stile kreieren. Schauen Sie die Einheimischen in Südafrika oder Südamerika an. Dort finden Sie Menschen mit Stil.
Toscani ist unruhig geworden. Er rutscht nervös auf seinem Stuhl herum und holt am Bildschirm alte Benetton-Werbemotive hervor, danach Portraits von Menschen aus aller Herren Länder. Er zeigt mir Bilder über Bilder. Dazu wiederholt er immer wieder monoton: Stil, Stil! Das ist Stil!
Stil ist eine gut aus balancierte Persönlichkeit, eine Balance aus Geist, Körper und Herz. Ein Gleichgewicht zwischen Kultur und Individualität.
Und wie sieht dann für Sie eine stilvolle Frau aus?
Einfach. Ich mag Frauen lieber, die wie Schäferhunde aussehen. Nicht wie Pekinesen. Ich mag keine Frauen, die Trophäen sind. Ich mag Frauen, die „liberated“ sind. Ich hasse Lippenstift und Make-up. Das stört mich ungemein. Ich sage dann immer: Waschen Sie sich Ihr Gesicht!
Haben Sie einen Lieblingsdesigner?
Ich mag japanische Designer, weil sie klare Sachen entwerfen. So wie Issey Miyake. Ich mag aber auch Castelbajac. Mode sollte ironisch sein, smart, intelligent, modern – und politisch.
Politisch?
Ja, Mode ist politisch. Denken Sie doch nur an den Mini. Als ich anfing, Mode zu fotografieren, hatten die Models Hüte auf und Greyhounds an ihrer Seite. Ich habe es gehasst. Deswegen fing ich an, Modefotos zu machen. Ich wollte Mädchen zeigen, die sich wie Mädchen bewegen. Die mit Einkaufstüten und einem Baguette unter dem Arm über die Straße gehen, die auf dem Fahrrad unterwegs sind. Eben das, was auf der Straße abgeht, die wahre Welt.
Toscani springt von seinen Stuhl auf, ist erregt. Er spricht lauter, gestikuliert, läuft herum.
Modefotos zu machen ist ein gesellschaftspolitischer Akt. Die meisten Modefotografen machen heute nur noch das, was die Modefirmen wollen. Nur wenige gehen weiter, folgen den gesellschaftlichen und politischen Spuren. Aber genau das ist es, was mich interessiert.
Ihr nächstes Projekt?
Ich fahre nach Kuba und fotografiere dort Dissidenten. So etwas habe ich schon einmal in den USA gemacht. Das war meine bisher wichtigste Arbeit. Ich hasse Regime und tue alles, um Regime zu bekämpfen.
Oliviero Toscani
Oliviero Toscani wurde 1942 in Mailand geboren. Nach einem Grafikstudium an der Kunsthochschule Zürich begann er 1965 mit der Modefotografie. Von 1982 bis 2000 entwarf er für die Firma Benetton provokative Werbekampagnen, mit denen er gegen eine aus seiner Sicht volksverdummende Werbeidylle rebellierte. Er wurde für seine Arbeit mehrfach ausgezeichnet, unter anderem von der UNESCO. Oliviero Toscani starb heute im Krankenhaus von Cecina an seiner schweren Erkrankung, die er im August 2024 öffentlich gemacht hatte. Er hinterlässt drei Kinder und seine Frau Kirsti, mit der er auf einem Bauernhof in der Toskana lebte, wo er Pferde züchtete und Oliven anbaute.